Die Taschendiebin – Kritik

Tarantino auf koreanisch, anyone?

Wenn euch Regisseur Park Chan-Wook nichts sagt, dann denkt an den kollosallen Old Boy, der 2003 von Kritikern und Nerds gleichermaßen abgefeiert wurde, denkt vielleicht auch an den etwas unbekannteren aber herrlich verrückten I’m a Cyborg But That’s OK. Die Taschendiebin heißt nun also das neue Werk des koreanischen Star-Regisseurs und die Tarantino-Vergleiche waren wohl nie passender. Denn genauso frei Schnauze, durch die Genres hindurch, mit reichlich Mindfuck, Voyeurismus, Blut und Style entwickelt der Film aus der Geschichte einer Kammerzofe, die sich in ihre Herrin verliebt, die filmtechnische und narrative Größendimension der großen Hollywoodikone ohne ihn zu kopieren oder zu sehr von ihm abhängig zu sein.

Schon die Ausgangssituation ist ein Geniestreich. Die Vorlage, The Fingersmith von der walisischen Autorin Sarah Waters, spielt eigentlich auf der britischen Insel, Park Chan-Wook verlegt das Szenario in das japanisch besetzte Korea und lässt ihn damit politisch höchst problematisch werden. Denn das Herrenhaus, in dem die falsche Kammerzofe  Sook-He geschickt wird, um die reiche und bildhübsche Erbin Lady Hideko auf die Ankunft des Grafen Fujiwara vorzubereiten und sie von der Heirat zu überzeugen. Denn sie steckt in Wirklichkeit mit diesem Graf unter einer Decke. Der Plan ist Lady Hideko zu verführen, mit ihr nach Japan auszubrennen, sie dort in eine Irrenanstalt zu verweisen, um das Erbe unter den beiden Hochstaplern zu teilen.

Die politische Brisanz des Stoffes entfaltet auf zwei Ebenen. Einerseits spiegelt der Film den Kulturimperialismus des frühen 20. Jahrhunderts wider, indem die koreanische Kammerzofe nicht nur dazu gezwungen wird ihren koreanischen Namen abzulegen und einen japanischen anzunehmen, sondern auch, dass die Adelsgesellschaft sich um jeden Preis auf ihre oftmals falsche japanische Abstammung berufen, um durch ihre Kultur die koreanische zu unterdrücken. Der ausschließlich koreanische Cast nimmt diese köstliche Satire über japanisches Herrengehabe bereits vorweg. In einer Zeit, in der die koreanisch-japanische Beziehung aber immer noch nicht spannungsfrei gelöst ist, muss man sich bewusst machen in welche Fleischwunde Park Chan-Wook hier den Finger hält, denn selbst heute werden Koreaner in Japan noch bis zu dem Punkt der Namensänderung unterdrückt und vernachlässigt.

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(c) Amazon Studios / Magnolia Pictures. Deutscher Verleih: Koch Films.

Die zweite politische Ebene ist die der Gender-Thematik. Denn The Handmaiden, wie der Film auf englisch heißt, ist auch die Geschichte einer lesbischen Liebe, die sich gegen derbste männliche Unterdrückung behaupten muss. Es darf so viel gesagt sein, dass der Film nach seinen unzähligen genialen Plottwists auch in das Genre des Exploitation-Films abdriftet.Gleichzeitig macht dieser Ausflug in das Land der B-Movies die Filmhandlung auch ein wenig unseriös. Und hier stellen sich die selben Fragen, die Tarantino umgeben. Wie ernst darf man seine Filme nehmen? Soll man sie nur als Filme lesen, die mit Genres spielen und ihre dynamische Kraft in humorvollen und derben Anspielungen entfalten, oder darf auch interpretiert und gedeutet werden?

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(c) Amazon Studios / Magnolia Pictures, deutscher Verleih: Koch Films.

Wen ich immer noch nicht überzeugt habe, das Kino-Ticket zu lösen und sich am besten mal bei einem gediegenen DVD-Abend alle sonstigen Perlen Park Chan-Wooks reinzuziehen, dem darf gesagt sein, dass sich auch die vier Schauspieler ein Rennen um Kult-Status liefern. Allen voran spielt Kim Min-Hee spielt sich als Lady Hideko die Seele aus dem Leib, wenn sie ihre Figur durch die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen ihres Lebens führt.

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Cast

  • Regisseur: Park Chan-Wook
  • Drehbuch: Park Chan-Wook, Chung Seo-Kyung

Darsteller

Darsteller Rolle
 Kim Min-Hee Lady Hideko
Kim Tae-Ri Sook-He
Haa Jung-Wo Fujiwara
Jo Jin-Woong Kouzooki

Die Filme von Park Chan-Wook

  • Daleun… haega kkuneun kkum (1992)
  • Saminjo (1997)
  • JSA – Joint Security Area (2000)
  • Sympathy for Mr. Vengeance (2002)
  • Yeoseot gae ui siseon (2003)
  • Oldboy (2003)
  • Three… Extremes (2004)
  • Lady Vengeance (2005)
  • I’m a Cyborg, But That’s Ok (2006)
  • Durst (2009)
  • 60 Seconds of Solitude in Year Zero (2011)
  • Stoker (2013)
  • Go-jin-gam-rae (2014)
  • Die Taschendiebin (2016)

Weitere Meinungen

  • Schnitt: 8,2/10

8

8 Kommentare Gib deinen ab

  1. Trallala sagt:

    Die Kritik hat mir richtig gut gefallen!! 🙂
    Der Film auch. Die Vergleiche kann ich nachvollziehen, obwohl ich ihn stimmungsmäßig schon sehr anders fand als Tarantino.. für mich jedenfalls. Und gewisse Szenen…..

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    1. kuyaa sagt:

      vielen dank! 🙂 Jep, der ist stimmungsmäßig wirklich anders und grade für diese andersartigkeit mag ich ihn! Mir ist Tarantino manchmal ein wenig zu derb, Chan-Wook entspricht da ganz meinem Geschmack.

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  2. donpozuelo sagt:

    Ja, ein toller Film. Bisher hat Park Chan-wook noch nicht ein einziges Mal enttäuscht. Das muss man einfach mal lobend erwähnen!

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  3. Luziferian sagt:

    Ein passendes Review und ein toller Film von einem meiner Lieblingsregisseure! Den habe ich mir vor knapp 2 Wochen auch schon vorgeknüpft: https://luzismedienecke.wordpress.com/2017/01/07/die-taschendiebin-vom-tellerrand-nr-1-kinotipp/

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  4. xsehu sagt:

    schöne Review, wenn ich auch den Vergleich mit Tarantino relativ weit hergeholt halte
    am ehesten sehe ich da noch eine Parallele, dass beide Regisseure die Handlung gerne mal eine Weile links liegen lassen um die Ästhetik (Park) bzw. die Gewaltinszenierungen (Tarantino) zum Selbstzweck werden zu lassen

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    1. kuyaa sagt:

      Genau, das meinte ich! 🙂

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  5. filmlichter sagt:

    Sehr schöne Besprechung, die ich weitgehend unterschreiben würde. Nur das der Film in Exploitation-Genre abdriftet möchte ich bestreiten. Nur weil Szenen explizit sind, sind sie (zumindest mMn) nicht automatisch exploitativ. Hier ergeben sie sich aus der Handlung, unterstreichen und kontrastieren die Beziehung der Charaktere im Vergleich zu den anderen und haben somit weit mehr als nur einen voyeuristischen Zweck. Ich gebe aber gerne zu, dass ich mit der Meinung wohl weitgehend allein dastehe… 😉

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    1. kuyaa sagt:

      Jep, ich denke auch, dass sie nicht nur (aber auch). einen voyeuristischen zweck haben! das exploitation-genre sehe ich zumindest als kino der extremen drastik, das nach seinen eigenen regeln spielt.

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