Kritik: Lion

Das Jahr ist während ich diesen Text schreibe erst drei Wochen alt und ich habe bereits 3 starke Filme im Kino gesehen. Zu Split, der in Deutschland erst am 26.01. anläuft, und Nocturnal Animal gesellt sich nun also auch „Lion“. Letztes Jahr war ich auch dank Pressevorführungen so oft im Kino wie nie zuvor – wo es doch einige Jahre gab, wo ich Kinobesuche an einer Hand abzählen könnte, so waren es 2016 ganze 25. Ich bin gespannt, was 2017 da bereithält. Bisher scheint es aber ähnlich zu verlaufen.


Handlung

Der 5 Jährige Saroo (Sunny Pawar) und sein älterer Bruder Guddu tun alles, was in ihrer Macht steht, um ihre Mutter, eine Steineschlepperin in einem kleinen indischen Dorf, zu unterstützen. und so überredet Saroo seinen Bruder, ihn doch eines Abends mit in die Stadt zur Nachtarbeit zu nehmen. Dieser lässt sich überreden und trägt Saroo auf, nachdem sie in der Kleinstadt angekommen sind, sich nicht vom Fleck zu bewegen, bis er wieder zurück sei und Arbeit für die beiden gefunden hätte. Als Guddu jedoch auch nach Stunden nicht zurückkehrt, begibt sich Saroo in einem leeren, abgestellten Zug auf die Suche nach ein paar Münzen und etwas essbarem – und schläft in einem der Abteile ein. Als er wieder aufwacht ist der Zug schon einige Stunden in Bewegung, einziger Halt Millionenstadt Kalkutta, gute 2000 Kilometer entfernt im westlich gelegenen Bengalen, wo niemand Saroo und seine Hindi versteht. Er versucht also, in der Großstadt zu überleben, nicht in falsche Hände zu geraten und hoffentlich irgendwie Unterstützung bei der Suche nach seinem Heimatdorf und seiner Mutter zu erhalten.
Die zweite Hälfte des Films zeigt einen ca 20 Jahre älteren Saroo (Dev Patel) der nun in Australien lebt. Auf welche Art und Weise er dort hingelangt und wie seine Suche bisher verlief möchte ich an dieser Stelle aussparen, um nicht zu viel vorab zu verraten.


Kritik

Eine echte Überraschung war Lion, so kannte ich zwar sowohl den Trailer als auch die großen Namen Nicole Kidman und Dev Patel, beide änderten an meiner Erwartungshaltung aber überhaupt nichts. Vor allem die erste Hälfte des Films, die den jungen Saroo (Sunny Pawar) durch die indische Großstadt begleitet, von dunklen Ubahnhöfen, über kleine Tempelanlagen am Fluss hin zu einem bedrohlichen Waisenhaus, ist bedrückend und nimmt den Zuschauer mit – auch dank einer Kameraperspektive, welche die Umgebung fast ausschließlich aus Höhe von Saroos Augen zeigt. Regisseur Garth Davis und Kameramann Greig Frasier sahen sich also mit der ungewöhnlichen, technischen Herausforderung konfrontiert, die Kamera dauerhaft auf die Sichthöhe eines Fünfjährigen zu bekommen. „Wir wollten das Publikum durch Saroos Augen blicken lassen, danach haben wir jede Entscheidung ausgerichtet […] Wenn er beispielsweise im Zug aufwacht und feststellt, dass er durchs Land rast – wie macht man das? Filmt man von innen oder von außen? Ich habe immer aus der Sicht von Saroo gefilmt, niemals von außen. Wir haben auf alle Establishing Shots verzichtet.“

Zwischen den oberen Absätzen und jetzt ist über ein Monat vergangen und ich blicke nun auf diesen Film zurück und gleiche meinen gebliebenen Eindruck mit den damaligen, noch ganz frischen ab. Ganz klar kann ich jetzt sagen: Besonders im Gedächnis bleibt die erste Hälfte des Films, die den jungen Saroo begleitet, wie er einsam und verlassen durch eine Millionenmetropole irrt, verzweifelt auf der Suche nach seiner Mutter, ignoriert oder missverstanden von seinen Mitmenschen. Auch der 20 Jahre später stattfindende Erzählstrang entbehrt keineswegs emotionaler Szenen, denn gerade hier bestimmt Saroos innere Zerrissenheit die Stimmung. Er kann in allem was er tut keine richtige Freude empfinden, da er das privilegierte Leben, das ihm zu teil wurde, einfach nicht mit seiner Kindheit in Einklang bringen kann. Ich kann mir kaum vorstellen, wie Dev Patel dies in seinem Schauspiel noch besser hätte zum Ausdruck bringen können, er hat das ihm gegebene Setting schon sehr gut genutzt, deshalb kann ich eine Oscarnominierung für den besten Nebendarsteller durchaus nachvollziehen. Ob er es am Ende gewinnen wird, nun, da bin ich mir jetzt, wenige Tage vor der Verleihung, nicht mehr so sicher, wie kurz nach Sichtung des Films. Das gesamte Ensemble macht seine Arbeit unbestitten ganz großartig, ob Rooney Mara, Freundin des älteren Saroo, Nicole Kidman als Adoptivmutter oder David Wenham(z.B. bekannt als Faramir aus Herr der Ringe) als Adoptivvater, herausstehen tun aber zweifelsohne die beiden Saroo – Darsteller.


Fazit

Lion entführt in eine fremde Welt und  ist noch mal ein bisschen eindringlicher, wenn man bedenkt, dass es auf der Biographie des echten  Brierley basiert. Neben Nocturnal Animals, the Salesman und einem weiteren Film, dessen Titel ich hier noch nicht verrate, da er erst in einem Monat erscheint, eins meiner Filmhighlights des noch recht jungen Jahres 2017. Von Spannung über schöne Bilder, emotionale, zwischenmenschliche Szenen hin zu einem tollen Schauspiel – Lion vereint all dies und ist auf jeden Fall einen Gang ins Kino wert.

9


Cast

  • Regisseur: Garth Davis
  • Drehbuch: Luke Davies

Hauptdarsteller

Darsteller Rolle
 Dev Patel Saroo Brierly
Nicole Kidman Sue Brierly
Rooney Mara Lucy

Nebendarsteller

  • Sunny Pawar
  • David Wenham
  • Pallavi Sharda
  • Abhishek Bharate

Weitere Meinungen

 

  • Schnitt: 7,2/10

7


Die Filme von Garth Davis

  • P.I.N.S. (2000)
  • Lion (2016)

5 Kommentare Gib deinen ab

  1. filmgeist9 sagt:

    Als ich die Geschichte bei GALILEO gesehen hatte war ich gerührt.

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    1. JOHN sagt:

      Dann wird dir der Film sicher auch gut gefallen.

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      1. filmgeist9 sagt:

        Vermutlich. Jetzt muss ich nur noch ein Kino finden und Zeit aufbringen … beides nicht einfach

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  2. Ich stimme dir absolut zu. Der Jungdarsteller bzw. eigentlich alle Darsteller der ersten Hälfte agieren sehr einprägsam und intensiv. Nur mit Faramir schockierst du mich ein wenig. Den habe ich echt nicht erkannt.

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