Der Literaturnobelpreis wurde an einen der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhundert verliehen und es knallt aus allen Rohren – und das nicht nur zur Feier. Der Shitstorm ist momentan ziemlich groß um die Vergabe des wichtigsten Literaturpreises an den Folk- und Country-Sänger, was meistens an der Irritation zweier Sachen liegt. Einerseits gilt Bob Dylan in der öffentlichen Wahrnehmung Musiker andererseits kann nicht eingestanden werden, dass ein Phänomen Pop-Kultur einen Preis der literarischen Hochkultur verliehen bekommt. Ich bin übrigens ganz für die Auszeichnung nunmehr alten Mannes mit der Mundharmonika aber das soll jetzt erstmal keine Rolle mehr spielen.
Vielmehr will ich die zweite Irritation der Contra-Fraktion anhand der Filmkultur ein wenig diskutieren. Bei uns ist es nämlich meiner Meinung nach viel deutlicher so, dass der Unterschied zwischen leichter und Hochkultur, zwischen Unterhaltungsfilm und Arthouse und Hollywood und Autorenfilm längst nicht mehr sinnvoll ist. Zwar existiert der schwierige Arthouse-Film noch, doch steht schon längst fest, dass auch den leichteren Filme zugestanden wird, ziemlich wertvoll, künstlerisch und auch einfach besser zu sein. Dass Hoch- und Popularfilm also gleichgestellt sind hat sich in den diesjährigen Filmfestivals bewiesen. Lav Diaz gewinnt mit einem 220-minütigen fast gänzlich allein produzierten Filmwerk (Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt: Lav Diaz) namens The Woman Who Left den goldenen Löwen in Venedig, ein Autorenfilm durch und durch.
In Cannes hingegen lässt sich die Jury auf den Roadmovie mit Shia LaBeouf American Honey ein, der zwar kein Film des Mainstream ist, aber doch einer, der für das Massenpublikum ausgelegt ist. Auch der Blick auf die Auswahl des französischen Festivals verrät, dass extreme Autorenfilme wie der von Lav Diaz eigentlich gar nicht berücksichtigt wurden. Zwar waren mit Park Chan-Wook, Pedro Almodovar, Xavier Dolan und Jim Jarmusch interessante Regisseure vertreten, deren Filme häufig auch mit einem höheren Anspruch einhergeht, doch findet man selbst bei ihnen keine übermäßig stilisiertes Erzählen. Zu schwierige Regisseure fanden in diesem Jahr in Cannes nur noch im Zuschauerraum Platz.
Lustiger Weise ist es so, als hätten sich die Jury von Cannes und des Nobelpreises abgesprochen. Der Nobelpreis geht an Bob Dylan, der für den ewig-heimatlosen Folksänger steht und sich dabei direkt auf die Strömung der Beatnik aus den amerikanischen 40er und 50er Jahren bezieht. American Honey aber ist das Herzstück der Beatnik-Literatur modernisiert. Zwischen dem epochemachenden Roman On the Road von Jack Kerouac und dem diesjährigen Film von Andrea Arnold gibt es dermaßen viele Parallelen, dass man mit Fug und Recht von einer Aktualisierung des Romans sprechen kann. Da ist die ‚beat‘-Einstellung sich immer von unten her zu betrachten, als besitze man nicht mehr als seine eigenen Körper und seine Seele, die nirgends Rast finden kann, das Leben aber nichts desto trotz in seiner Reise der Welt zelebriert.
Das ist alles meilenweit entfernt vom schweren und trüben Arthouse eines Andrej Tarkovsky oder Belá Tarr, das momentan ganz deutlich auf dem absteigenden Ast ist. Aber vielleicht ist das im Angesicht der zurecht preisprämierten, wirklich fantastischen Filme auch einfach nicht so schlimm.
Mmmh. Ich finde es generell schwierig eine Grenze zu ziehen. Ab wann ist es noch Arthouse, ab wann Mainstream oder Konsens. Und wer würdigt es dann als eben solches? Das Dylan den LNP bekommen hat, ist für mich damit eher nicht zu vergleichen, auch wenn ich es nachvollziehbar finde. Die Medien oder auch wir können Dylan nicht als leichte Kost abtun bzw. als Randerscheinung sehen, finde ich, denn was unterscheidet ihn letztlich von den anderen Preisträgern? Bestimmt hat er seine Texte auch veröffentlicht (also in einem Band). Warum das so hohe Wellen schlägt, verstehe ich ehrlich gesagt nicht.
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Danke für den Kommentar, das gibt mir Inspiration für meine Kolumne am nächsten Sonntag! Sieh das als etwas verspätete aber dafür umso detailliertere Antwort an! :p
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Freue mich darauf! 🙂
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