Als ich in der Schule war, hatte ich nie wirklich ein gutes Zeitgefühl. Oft machte ich Wochen zu Monaten, weil ich keinen Sinn dafür entwickelte, wie langsam eine Woche vorbei zieht und wie viel länger noch ein Monat eigentlich dauerte. Die Woche aber war bei mir ziemlich genau getaktet: Montag, langer Schultag mit zwei Stunden Sport am Ende, dann drei Tage Unterricht bis zum frühen Nachmittag und Freitag, der kürzeste Tag mit Klavierstunden danach. Das Wochenende hab ich dann meistens ganz in einem MMO verbracht und Serien geguckt, wenn meine Freunde offline gingen. Irgendwann war die Zeit dafür jedoch vorbei und ich hab mich schnell wieder danach gesehnt ungesund viele Stunden mit Looten und Leveln zu verbringen. Die Zeit in MMOs war immer ziemlich freudig. Verglichen damit, war es verdammt schwer sich an die Welt mit ihrem unzählig vielen, anderen Gesetzen zu gewöhnen, von denen man das härteste wohl Zeit nennt. Dann begegnete mir der Film Das Mädchen, das durch die Zeit sprang, was für einen Rüpel wie mich der Auslöser war, über das nachzudenken, was ich immer nur fröhlich verspielte, aber nie in den Griff bekam.
Der Film hat die übliche japanische High School zum Schauplatz. Hauptperson Makoto hängt mehr in den Wolken als im Unterricht und genießt den Sommer mit Baseball und ihren besten Freunden Chiaki und Kosuke. In ihrer Klassenstufe fragen sich bereits alle, wo es nach dem Abschluss denn hinsoll, nur für sie scheint die Frage irgendwie nicht beantwortbar, weswegen sie deshalb ihre letzten Monate der Schule nicht wirklich anders als sonst verbringt. Einfach nur mit Spielen und Spaß haben.
Dann wird Makoto mal eben so vom Zug überfahren und lernt ihre zufällig erlangte Zeitreisefähigkeit kennen, durch welche sie sich selbst retten kann. Was tut man also als Großstadtmädchen, was genauso wenig Plan wie Orientierung im Leben hat? Ihre Antwort ist: den lieben langen Tag immer und immer wieder neu anzufangen bis er in Sachen Spaß aufs Ganze ausgeschöpft ist und sich wirklich nicht mehr verbessern lässt. Doch dann kommt natürlich das bekannte Trope der schlechte Seiten des Zeitreisens in den Film. In den verschiedenen Versionen des Tags geschehen auch immer verschieden schlimme Dinge und als dann ihre Kraft zu schwinden droht, trifft es ausgerechnet einen ihrer besten Freunde. So, mehr sag ich nicht zum Inhalt, weil ich Euch diesen Film unbedingt in der derzeitigen Anime-Filmflaute wärmstens ans Herz lege, also im folgenden noch ein paar Überzeugungsversuche.
Regisseur Mamoru Hosoda hat sich in den verschiedensten Bewegungssequenzen immer ziemlich originelle Einstellungen und Pointen einfallen lassen, um Makotos Springen, Rollen und Stürzen bildkompositorisch mit viel Humor und Dynamik zu gestalten. Makoto rennt der vorbeiziehenden Kameraperspektive hinterher, springt vor auszoomender Kamera von Stufen, Leitern, Türmen, rollt durch Gänge und Menschen hindurch, fällt und stolpert schließlich in alles sonst noch Erdenkliche hinein. Dabei hebt Hosoda sein Bewegungsmotiv auf eine fast schon philosophische Reflexion mit der Zeit. Man sagt Zeit lässt sich nicht anders wahrnehmen als durch die Veränderung von Zuständen. Für den Menschen heißt das: er muss sich bewegen, um als zeitliches Wesen gelten zu können, muss Springen und Rennen, seinem Schicksal entfliehen, nicht die Zeit über sich ergehen lassen, sondern selbst durch sie hindurchschreien, wie es Hosoda an Makotos Charakterentwicklung vorführt. Vom kleinsten Genuss des Puddings bis zur großen Selbstgestaltung des Lebens wird die Bewegung durch die Zeit an Makoto vorgeführt.
Doch, was dem Film wirklich seine erstaunliche Tiefe gibt, ist die Aussicht einer nicht näher explizierten, fernen aber sehr schlechten Zukunft, in der es kein Baseball, keine Sommerfeste oder Kunstgalerien mehr gibt. Der Twist des Films ist ein melancholischer Schauer über den Spaß des restlichen Streifens. Wenn die Zukunft von Makotos Welt letztlich in eine verschwommene Dystopie mündet, dann kann der verströmenden Zeit kein Vertrauen geschenkt werden, dann ist der Weltenlauf trügerisch und fatal. Zeit sollte so am ehesten stehen bleiben, um die Vision eine Vision bleiben zu lassen. Der Film endet aber mit Makotos freudigen Lächeln voller Zuversicht, ohne ihren erklommenen Lebensplan mitzuteilen, womit der Zuschauer die Aufgabe aufgetragen wird, ihn durch den Verlauf des Films zu entschlüsseln. Meine Vermutung ist, dass Makoto gelernt hat, sich gegen die Übermacht der Zeit zu stellen und sie aufhört sich ihr passiv zu ergeben, und stattdessen versucht sich fortan in immer neuen Anläufen, in der Zeit zu bewegen, sie selbst mitzugestalten, mit der ganz großen Hoffnung den Weltenlauf umzustimmen.
Meiner Meinung nach ist das Coming-of-Age im allerhöchsten Niveau. Der in der Wolken hängenden Makoto des Anfangs wird am Ende eine Makoto gegenübergestellt, in der die Möglichkeit angelegt ist, nicht nur mündig, sondern zeitgestalterisch tätig zu sein, die Veränderungen nicht mehr verabscheut und sich vor ihnen fürchtet, sondern sich ihnen selbstbewusst stellt, und das selbst in dem Wissen, um die eventuell nahende Dystopie – das alles ganz ohne ihre supernatürlichen Kräfte. Das Machen, das durch die Zeit sprang trifft meinen Filmgeschmack wirklich mit dem Nagel auf den Kopf. In einem ziemlich einfachen, intuitiven Erzählmodus wird eine Geschichte erzählt, die nicht nur sympathisch, charmant und aufregend daher kommt, sondern gleichzeitig eine so ungeheuere Tiefe besitzt, dass sie im Kopf des MMO-süchtigen Ich von vor 6 Jahren wütet und ihn nicht mehr loslässt.
Ja, wirklich ein toller Film, den ich wirklich mal wieder gucken muss!
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Ein wahrlich wunderschöner Film mit so manch wertvoller Lektion für’s Leben. Danke, dass du ihn mir in Erinnerung gerufen hast.
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