Berlinale-Filme #1: Die künstlerischsten Filme … sind die Dokus?!

Nachdem ich Euch in in meinem letzten Post erzählt habe, wie es so ist, den ganzen Tag auf der Berlinale rumzulungern, von Film zu Film und von Kaffee zu Kaffee zu hetzen, ist es Zeit sich dem wirklichen Interessanten zu widmen. Die 38 Filme, die ich gesehen habe und im folgenden Revue passieren lasse, sind ganz und gar nicht repräsentativ für die Berlinale als Ganzes. Von den ungefähr 400 Filmen, die das Festival dieses Jahr umfasste, hab‘ ich also knapp 10% gesehen, davon nur einige der Preisträger und nicht mal alle, die ich mir vorgenommen hab. Während dieser erste Teil ein wenig die arthousigen Filme abhandelt, sollen im zweiten Teil dann die Filme erscheinen, die man hierzulande im Laufe des Jahres noch im Kino bewundern werden darf! Also geht’s los mit ein paar anspruchsvollen, anstrengenden aber auch lohnenden Streifen.

Nie vergessen werde ich den fabelhaft fotografierten Ghost in the Mountains. Dieser Film mit den wohl langsamsten und längsten Kameraschwenks der Filmgeschichte begleitet den Protagonisten Lao Liu auf seiner Heimkehr in die chinesische Bergprovinz, die mittlerweile von so ziemlich allen verlassen wurde und bald nur noch als Einöde für buddhistische Asketen dient, die der einzig erhabene Lichtblick der Geschichte bilden. Denn die restlichen Figuren sind nicht mehr als Wandelnde, die leise träumen, aber nichts verwirklichen, die es zu anderen Orten zieht, den Großteil ihrer Zeit aber nur mehr mit Rauchen und Trinken verbringen, worin eine merkwürdige Form weltlicher Ekstase entsteht. Wie die buddhistischen Mönche in den Bergen still meditieren, um an Erleuchtung zu gelangen, entkommt Lao Liu der weltlichen Modernisierung durch seine Alkoholsucht und seiner Reise durch die Symbole der Zeit. Die langen Bildeinstellungen fassen diese Meditation über das Nichtstun in eine kraftvolle Hypnose, in der die gekonnte Blickführung das vollständige Abtauchen im Labyrinth der Berge ermöglichen. Zeit gerinnt und kommt zum Stillstand. Lao Liu wandert wieder betrunken durch die Berge und findet letztendlich sein Ende in den Händen der Jugend, die die Fadheit nicht ertragen.

Noch einer dieser großartigen meditativen Filme war Railway Sleepers. Regisseur Sompot Chidgasornpongse filmte zehn Jahre lang das Innenleben thailändischer Eisenbahnen und erstellte aus ihnen eine andere Art einer Gesellschaftsstudie, denn die Abteile sind nach Klassen separiert und werden sukzessive nacheinander portraitiert. Man beobachtet also eine Schulklasse beim Musizieren, Kindern beim Spielen, Leuten beim Schlafen, Leute aus dem Fenster starren und irgendwie ist das alles so eindrucksvoll eingefangen und zusammen montiert, dass man die Augen nicht mehr vom Bildschirm nehmen mag und die Gedanken nie aufhören zu schweifen. Aber auch Railway Sleepers begnügt sich nicht damit schöne Bilder aneinanderzureihen, denn was wie das Nachtprogramm des ARD anfängt, endet wie schon Ghost in the Mountains als metaphysische Reflexion über Zeit und Veränderung. Die Eröffnungsschrift der Eisenbahn von 1893, in der Fortschritt und Prosperität als Ziele ausgeschrieben werden, initiieren den Film, beendet wird er durch ein mystisches Interview mit einem Zeitreisenden aus dieser Zeit, der ganz plötzlich das Reflexionsniveau des Gesehenen ganz erheblich aufwertet.

Die wirklich besten Filme meines Berlinale-Besuchs folgten dieser eingängigen Formel ‚Dokumentation mit einer Prise Feenstaub‘. In On The Beach At Night Alone verfilmt der koreanische Regisseur Hang Sang-Hoo das Leben seiner Schauspielerin Kim Min-Hee nach ihrer wirklich statt gefundenen Liaison, die der koreanischen Presse viel Stoff für Klatsch und Tratscht boten. Der Film wirkt daher wie ein Blick aus der Innenperspektive dieser skandalösen Liebschaft, eine wirklich interessanter Kommentar auf die moralischen Möglichkeiten von Stars und Sternchen. Die Kamera-Aktionen sind daher auf das Mindeste reduziert, die Dialoge überwiegend natürlich und banal. Die Schauspielerin Kim Min-Hee flieht nach Deutschland, um sich eine Auszeit von den neugierigen Fragen ihrer Kollegen zu gönnen, wieder zurück in Südkorea stellt bei nächtlichen Umtrunken jedoch erstaunlich mutig und unterhaltsam die Fragen um falsche Partnerschaft und Liebesunfähigkeit. Und je heikler es in diesem Film wird, desto weiter kippt die vierte Wand in dieser Geschichte, die so unangenehm direkt aus dem wirklichen Leben gegriffen zu sein scheint, dass ganz leise tragische Töne stets mitschwingen.

Neben diesen äußerst originellen Dokufiktionen (oder besser: Fiktiondokus?) wirkte der rein dokumentarisch gehaltene Streifen Beuys über den gleichnamigen deutschen Konzeptkünstler mit der Anglerweste wirklich mittelmäßig, unkritisch aber wenigstens informativ. Das andere Extrem stellte El Mar La Mar dar, der wohl anspruchsvollste Film meiner Festivalwoche. Die beiden Schaffer Joshua Bonnetta und J.P. Sniadecki sammeln ihre fast surrealistisch anmutenden Aufnahmen der Sonora-Wüste, die sich von Mexiko bis über die Grenze der USA erstreckt. In dieser denkbar politischen Thematik verweilt der Film (Gott sei Dank!) im Poetischen, indem er frei-beziehbare Toninterviews von Migranten in die Bildsequenzen einfügt. Zuletzt unterstreicht der Vortrag eines Traumgedichts von Juana Inés Dela Cruz über den Bildern von Wüstengewittern die enigmatisch-brüchige Welt von El Mar La Mar.

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