Man sagt im Alter wird man weise. Vielleicht stimmt das, Martin Scorsese jedenfalls kann sich schon seit geraumer Zeit wohl alle Freiheiten der Welt nehmen. Silence ist nach dem vielerorts vergessenen Die letzte Versuchung Christi aus 1988 nun sein zweiter Film, der ein wirklich erzchristliches Thema zum Stoff hat. Interessanter kann jedenfalls ein historisches Sujet kaum sein – zwei Jesuitenpater (gespielt von Andrew Garfield und Adam Driver) des 17. Jahrhunderts reisen nach Japan, um ihren verlorenen Mentor aufzusuchen, kümmern sich um die verfolgten Katholiken und müssen sich letztendlich auch den imperialen Herrschern stellen. Doch so spannend die Vorlage des japanischen Roman-Autors Shusaku Endo auch ist, er bringt viele Schwierigkeiten mit sich, die der Altmeister des Hollywoodkinos nicht immer ideal zu lösen weiß.
Kultstatus erreichte der amerikanisch-italienische Regisseur mit seinem tiefgründigen Thriller Taxi Driver, geliebt wird er ebenfalls für seine ähnlich ausladenden Filme Wie ein wilder Stier, Wolf of Wallstreet oder Goodfellas. Ein Mann der leisen Töne war Scorsese also wirklich noch nie. Bei Silence ist daher ziemlich erwartbar, dass Köpfe rollen und Männer schreien werden. Und so geschieht es auch. Der Film legt es darauf an, seine stilleren Abschnitte erst nach einer langen Sequenz von pathetischen Folterszenen zu entfalten. Denn die Untertanen des japanischen Kaisers wollen das Christentum aus ihren Ländern vertreiben. Nur müssen sie erst lernen, dass man ihren Glauben nur verstärkt, wenn man ihnen Märtyrer zum Beispiel anbietet. Zugegebenermaßen ist es immer ergreifend, Menschen an Kreuzen gekettet leiden zu sehen, doch mindert die Menge und Drastik der Passionsimitationen das Reflektionsniveau des anspruchsvollen Stoffes zu sehr. Die religiöse Thematik rückt mehr und mehr in den Hintergrund und immer wieder droht die Gewalttortur Überhand zu nehmen.
Denn überhaupt fehlt dem Film in der ersten Hälfte, wofür eine wirkliche Meisterhand nötig gewesen wäre: Die Psychologisierung der japanischen Christen. Immer scheinen sie unnahbar, weil sie einfach eine Spur zu demütig und würdevoll mit dem Glauben umgehen. Die Emotionen schwappen aus der Bescheidenheit der Leute über, doch keiner der beiden Pater sieht in die Menschen hinein. Die verfolgten Japaner setzen ihr Leben auf’s Spiel um Christ bleiben zu dürfen, doch wie und woran glauben sie wirklich? Die zwei eifrigen Pater tun viel, doch der Film bleibt bei der Darstellung von Glauben und Religion immer nur im Zeichenhaften. Eine solche Oberflächlichkeit ist schade, denn nimmt den Passionsszenen ihre Schlagkraft.
Im Laufe der zweiten Hälfte tauchen die wirklich philosophischen Fragen dann wirklich auf. Wieso können sich die Herrscher des Landes nicht mit dem westlichen Glauben anfreunden? Ist eine Verbindung von japanischer Mentalität und christlicher Religion überhaupt möglich? Welche Wahrheit kann die Religion proklamieren und ist es nicht das christliche Wissen, was unterdrückerisch und intolerant andere Glaubensrichtungen verstößt? Die Weisheit des Alters scheint Scorsese zu den vielen diskursiven Dialogen bewegt zu haben. Auf die tatenstarke erste Hälfte folgt eine nachdenklichere zweite Hälfte, die leider die Schönheit der Bildsprache des ersten Teils vermissen lässt. So muss man sagen: Silence ist so ambitioniert, wie man es sich von anderen Filmen nur erhoffen kann, doch schafft er es leider nicht in der obersten Liga mitzuspielen.
Cast
- Regisseur: Martin Scorsese
- Drehbuch: Jay Cocks, Martin Scorsese
Hauptdarsteller
Darsteller | Rolle |
---|---|
Andrew Garfield | Rodrigues |
Adam Driver | Garupe |
Liam Neeson | Ferreira |
Nebendarsteller
- Tadanobu Asano
- Ciarán Hinds
- Issei Ogata
- Shin’ya Tsukamoto
- Yoshi Oida
Weitere Meinungen
- Andreas Eckenfels (Die Nacht der lebenden Texte)
- Antje Wessels
- Christian Neffe (Audio\visuell) – 5/6
- Dennis Lebski (Filmspleen)
- Donpozuelo (Going to the Movies) – 7,5/10
- Friedl von Grimm (Trivial) – 7/10
- Gian-Philip Andreas (mehrfilm) – 8/10
- Peeweeski (Popkulturelle Differenzen)
- Prestophisto (Popcornguys) – 9/10
- Salih Yayar (Filmaffe) – 4,5/5
- Singende Lehrerin – 7,5/10
- Schnitt: 7,7/10
Die Film von Martin Scorsese
- New York City… Melting Point (1966)
- Wer klopft denn da an meine Tür? (1967)
- Street Scenes (1970)
- Die Faust der Rebellen (1972)
- Hexenkessel (1973)
- Italianamerican (1974)
- Alice lebt hier nicht mehr (1974)
- Taxi Driver (1976)
- New York, New York (1977)
- The Band (1978)
- American Boy (1978)
- Wie ein wilder Stier (1980)
- King of Comedy (1982)
- Die Zeit nach Mitternacht (1985)
- Die Farbe des Geldes (1986)
- Die letzte Versuchung Christi (1988)
- New Yorker Geschichten (1989)
- GoodFellas (1990)
- The King of Ads (1991)
- Kap der Angst (1991)
- Zeit der Unschuld (1993)
- Casino (1995)
- Kundun (1997)
- Bringing Out the Dead (1999)
- Meine italienische Reise (2001)
- Gangs of New York (2002)
- Aviator (2004)
- Departed (2006)
- Shine a Light (2008)
- Shutter Island (2010)
- A Letter to Elia (2010)
- Public Speaking (2010)
- George Harrison: Living in the Material World (2011)
- Hugo Cabret (2011)
- The Wolf of Wall Street (2013)
- The 50 Year Argument (2014)
- Silence (2016)