Kritik: Der Nachtmahr

Schon allein die Rahmenbedingungen machen Der Nachtmahr zum Standout-Film des jüngeren deutschen Kinos. Mit einem Budget von nur 100.000€, was ganz ohne Fördergelder auskam, brachte der Regisseur Akiz diesen Frühling ein Psycho-Drama heraus, das aufgrund seiner zahlreichen Alleinstellungsmerkmale bei Genre-Liebhabern als Geheimtipp kursierte. Wenn man sein ‚Anders-sein‘ als das zentrale Konzept des Films sehen möchte, dann hat es sich auf jeden Fall ausgezahlt – der Hype ist langlebiger als gewöhnlich, auch nach mehreren Monaten ist der Film noch in den Köpfen präsent. Was ist es aber, was den Nachtmahr so besonders macht?

Die Hauptperson Tina ist 17, wächst in einer gut situierten Vorstadtfamilie auf und ist Teil eines schulischen Umfelds, von dem man in Berlin häufiger hört. Sie und ihre Freunde gehen alle samt zu hartem Acid regelmäßig feiern, sind ausgesprochen offen, was Drogen angeht und müssen unter dem Druck einer extrem starken Gruppendynamik im Freundeskreis eingliedern. Man muss sich anstrengen, um dazu zu gehören. Freaks sind sie irgendwie alle, doch wer der falsche Typ Freak ist, kann ganz schnell zum Außenseiter werden. In diesem problematischen Soziotop schickt Regisseur Akiz seine Protagonistin auf die Reise ihre Ängste und ihre Abscheu zu begegnen. Nach anfänglichen Albträumen werden ihre Horrorvision immer realer bis sie ein kleines, ründliches und schrumpeliges Wesen als ihren Seelenverwandten wieder findet und dieser anfängt unentwegt ihr Haus nach Nahrung zu durchstöbern.

So die Inhaltsangabe der Handlung, die eigentlich noch gar nicht so unkonventionell zumutet. Das Besondere liegt vielmehr in der gesamten Präsentation der Coming-of-Age-Story. Die Schauspieler sind mit Ausnahme von Wilson Gonzalez Ochsenknecht unbekannte Gesichter, die darüber hinaus nicht aufwendig maskiert, sondern ganz einfach jugendlich geschminkt wurden. Auf Natürlichkeit setzen auch die Dialoge, die somit zwar holprig und steif daher kommen, aber ganz aus dem Alltag der Jugendlichen entnommen zu sein.

Bei der ziemlich gemächlichen Erzählweise durch die psychotischen Haushalt Tinas, der zwar immer äußerst kalkuliert aber nie wirklich gruselig oder erschreckend wirkt, stellt sich nur die Frage, wo bleibt hier der Spaß? Denn irgendwie ist Der Nachtmahr trotz derart viel Darstellungsvielfalt und distinguiertem Look nicht interessant genug. Für einen wirklichen Horror-Film schockiert der Film zu wenig und für ein Psychodram fehlt der benötigte Tiefgang. Die scheinbar obligatorischen Schritte durch Tinas Wahnsinns werden allzu langsam abgeklappert, vom ersten Besuch beim Psychiater über die Pläne der Eltern sie in die Klapse zu schicken bis zu der Einsicht aller Außenstehenden, dass das kleine Wesen wohl doch real ist. Das E.T.-ähnliche Monster ist für Fantasy-Fans schon nach wenigen Sekunden mehr liebenswert als erschreckend, Tina aber brauch dazu mehr leider als eine Stunde, obwohl sie Figürchen des Spielberg-Aliens besitzt. Der Ansatz all ihre Abscheu vor Hässlichkeit und menschlichem Elend in ein kleines muffiges Ding zu bannen, ist zwar interessant, doch schlägt dieser charakterliche Makel in den restlichen Szenen des Films kaum erzählerische Tiefe, das Gespräch über das William Blake-Gedicht im Englisch-Unterricht ist da eine willkommene Ausnahme.

Es fehlt dem Drehbuch dabei der Wille ganz tief in die Abgründe der menschlichen Seele hineinzuschauen, die Protagonisten bis auf’s Innerste auszuschlachten, um die so wichtige elektrisierende, unheimliche Spannung zu generieren, die wirklich großartige Psychodramen ausmachen. Die Radikalität des Filmteams um Akiz aber ist ausgesprochen lobenswert und Der Nachtmahr definitiv eine Bereicherung für das deutsche Kino, dem so oft mangelnde Visionen vorgeworfen werden. Von den folgenden beiden Teilen der angekündigten Trilogie Geburt Liebe Tod ist demnach viel zu erwarten. Vom Nachtmahr bleibt aber leider nur die Erinnerung an einen besonderen Film übrig, der aufgrund seiner mittelmäßigen Erzählung dann leider doch nicht so besonders ist.

Der Nachtmahr hatte seinen DVD und Blu-Ray-Start am 27.10. Wir danken Pure-Online für die Bereitstellung eines Rezensionexemplars.

5


Cast

Regie & Drehbuch:

  • Akiz

Hauptdarsteller: 

  • Carolyn Genzkow als Tina
  • Wilson Gonzalez Ochsenknecht als Adam

Andere Meinungen:

 

  • Schnitt: 7,8/10

8


Die Filme von Akiz aka. Achim Bornhak

  • Marianengraben (1994)
  • Das wilde Leben (2007)
  • Der Nachtmahr (2016)

5 Kommentare Gib deinen ab

  1. amourfoufilm sagt:

    Endlich mal eine treffende Kritik, die den Streifen nicht nur (weil er als deutscher Film nicht sofort nach Alarm für Cobra 11 aussieht) blind abfeiert. Im Grunde ist er eine Seifenblase, welche schon am Ende des ersten Drittels platzt…

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  2. donpozuelo sagt:

    Der liegt bei mir auch gerade frisch auf dem Schreibtisch… aber so richtig traue ich mich nicht an den ran. Aber ich bin dennoch gespannt, weil so wie sich das überall liest, könnte mir der entweder richtig gut gefallen oder mich richtig schön in den Schlaf lullen 😉

    Gefällt 1 Person

  3. Und ich muss mir die DVDs noch selbst kaufen, irgendwas mache ich falsch 😉

    Meine Kritik kommt zwar erst morgen dazu raus, aber ich kann schonmal vorweg nehmen, dass ich mit eurer Meinung größtenteils konform gehe. Das Drehbuch hätte als 30-Minüter um einiges besser funktioniert.
    Wenn man aber weiß, dass hier weniger Horror und mehr Coming-of-Age gezeigt wird, dann bekommt man ein nettes Filmexperiment aus deutschen Landen präsentiert.

    Bitter nötigt in einer Zeit, in der selbst ein Film über Flüchtlinge in Wahrheit eine Beziehungskomödie ist.

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  4. Eine tolle Webseite die ich vor kurzem entdeckt habe, tolle Podcast die ich mir anhöre auch die filme sind super.
    Lg Mona

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